9. April 2022
Natürlich ist nichts vorbei. Genau ein Jahr nach meinem letzten Brief ziehe ich einen gelben Umschlag aus dem Kasten. Absender ist das Amtsgericht Leipzig. Inhalt ist die Klageschrift der Münchner Kanzlei: fünf Seiten Blabla und viele Verweise auf angeblich relevante Paragraphen und Urteile.
Wieder einmal frisst die GEMA ein paar Stunden meiner Lebenszeit. Ich schaue mir die genannten Texte und Urteile online an.
- BGZH 95, 274 – GEMA-Vermutung 1
- BGHZ 95; 285 – GEMA-Vermutung 2
- NJW 1986; 1250 – GEMA-Vermutung 3
Wichtig scheint alles zu sein, was sich um die sogenannte GEMA-Vermutung dreht. Es geht da anscheinend immer um Filme, entdecke ich. Und zwar um solche, hinter deren Produktion und Distribution ein kommerzielles Interesse steht. Fast immer sind es Sexfilme. In einem der Urteile lese ich: „Der Beklagte betreibt einen Nachtclub, in dem er pornographische Tonfilme vorführt.“
Hmmm. Was hat das mit uns zu tun? Ich gebe mir alle Mühe, kann aber wirklich keine strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen diesen Filmen und unserem Festival erkennen. Bei Buntega! gab es keine Musik von Anderen und kein gewerbliches Interesse; der Eintritt war sogar kostenlos.
Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich schon in meinem ersten Widerspruch darauf hingewiesen hätte, dass unser Festival gratis besucht werden konnte?
Im gelben Umschlag steckt außerdem eine Verfügung vom Amtsgericht, in dem mitgeteilt wird, dass ein schriftliches Vorverfahren durchgeführt wird („Schriftliches Vorverfahren?“ – denke ich – „Meine Güte, was ist das denn nun wieder?“). Außerdem wird unser Verein darauf hingewiesen, dass er seine „Absicht auf Verteidigung binnen einer Notfirst von zwei Wochen ab Zustellung der Anspruchsbegründung schriftlich (keine Email) anzuzeigen“ habe. „Die Frist kann nicht verlängert werden und ist nur dann gewahrt, wenn die Anzeige innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Geht sie nicht innerhalb der Frist ein, so kann das Gericht unter Umständen ohne mündliche Verhandlung durch Versäumnisurteil gegen die beklagte Partei entscheiden.“
Ein paar Zeilen weiter dann wieder, dieses Mal sogar fett gedruckt: „Der Prozess kann also allein wegen einer Fristversäumnis verloren werden.“
Hey, Rechtsstaat! Was soll das? Da haben wir zwölf Monate nichts von Dir gehört und plötzlich machst Du so einen Druck? Auf wessen Seite stehst Du eigentlich? Ein paar Tage später tippe ich die nötigen Zeilen und stehe dann wieder einmal in der Schlange vor der Postfiliale, um ein Einschreiben abzugeben. Irgendwie hatte ich mir die Vereinstätigkeit anders vorgestellt.
Mai 2022
Am 18.05.2022 wieder Post vom Amtsgericht. Mit einem Termin zur Güteverhandlung. Die soll in fünf Monaten stattfinden.
Im Umschlag liegt außerdem ein Schreiben, in dem die Kanzlei auf die Sätze Bezug nimmt, mit der ich der Klage widersprochen hatte. Wieder mal ist ausführlich von der „Gema-Vermutung“ die Rede. Wenn ich alles richtig verstanden habe, lässt sich diese so zusammenfassen:
Die GEMA behauptet, dass eine Veranstaltung, bei der Musik zu hören ist, grundsätzlich gema-pflichtig sei. Wenn der Veranstalter das anders sieht, muss er diese Vermutung widerlegen, indem er beweist, dass die genutzte Musik gemafrei ist. Die Aussage: „Die Musik ist gemafrei!“ reicht der GEMA nicht.
Das sind keine einfachen Rahmenbedingungen für einen gemeinnützigen Verein, der jungen Leuten einen Raum für freies Musizieren, Drauf-Los-Trommeln und Rum-Schrammeln geben und außerdem geflüchteten Musikerinnen und Musikern eine Bühne bieten möchte. Im Schreiben heißt es außerdem noch:
„Der Beklagte ist nach vorgenannter ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof verpflichtet, eine Liste mit Beweisantritt vorzulegen, in der detailliert für jede einzelne Veranstaltung aufgeführt wird,
- welche Musikstücke / Titel,
- welcher Komponisten / Textdichter / Bearbeiter,
- aus welchem Verlag genutzt, wurden, damit die Klägerin dieses dann prüfen kann.“
Die Kanzlei behauptet also, dass die Abgabe einer solchen Titelliste laut Bundesgerichtshof verpflichtend sei. Ist das wirklich so? Oder nur ein aufgeblasenes Schein-Argument der Gegenseite? – Ich habe keine Ahnung.
Und was ist eigentlich eine „Güteverhandlung“? Das immerhin verrät mir das Internet und ganz besonders der Artikel von Andreas Götz auf volXmusik.de. Der Text ist enorm hilfreich und bestärkt mich in meiner Haltung, kein Geld für juristischen Beistand auszugeben.
Oktober 2022
Im Oktober 2022, also mehr als drei Jahre nach der Veranstaltung, gehe ich zusammen mit einem Vorstandskollegen ins Amtsgericht und zur Güteverhandlung. Mit dabei haben wir einen gut sortierten Ringordner, der nicht nur den gesammelten Schriftverkehr, sondern auch eine dreifach kopierte Set-List enthält. Also alle Namen von Menschen, die bei Buntega! in irgendeiner Form Musik gemacht haben, sowie die Titel der gespielten Musikstücke. Vor einigen Wochen hatte mein Kollege damit begonnen, die Mitwirkenden von damals nach ihren Liedern und Kompositionen zu fragen. Auf der Liste stehen nun Titel wie: Yankadi, Es tu voz, komisch, Smoothie, Omas Rumba und Fette Butterbemme. Das wird Justitia bestimmt gefallen.
Als der Moment kommt, in dem der GEMA-Anwalt die Sprache darauf bringt, dass es (angeblich) Pflicht des Veranstalters sei, eine solche Liste zu führen, reagiere ich mit einem freundlichen: „Wir haben die Titelliste dabei.“
Der Richter ist nicht amüsiert. Wir hätten die Liste doch schon, tadelt er uns, vor geraumer Zeit einreichen sollen. Meine Begründung, erst kürzlich davon erfahren zu haben, dass eine solche Übersicht möglicherweise nötig sein könnte, nimmt er mit steinernen Gesichtszügen zu Kenntnis. Dann fordert er mich auf, die Kopien an ihn und an den Anwalt der Gegenseite zu übergeben.
Kurz zuvor hatte mein Kollege noch den Hinweis zu Protokoll geben können, dass der Eintritt frei war. Und außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass es schon früh einen ersten Widerspruch unsererseits gegeben hat. Dieses Mal ging der strenge Richterblick an den Anwalt der Gegenseite: „Warum habe ich davon nichts in den Akten?“. Die Frage blieb unbeantwortet. Schließlich wird der Termin beendet. Der Rechtsanwalt der Gegenseite behauptet, dass er die Klage aufrechterhalten wird. Wir kramen alle unsere Kalender hervor und verabreden uns für den 1. Februar 2023 zum „eigentlichen“ Prozesstermin.
November 2022
Am 2. November 2022 bekomme ich Post vom Amtsgericht: Wir erhalten das Protokoll.
Dezember 2022
Am 20.12.2022 dann erneut Post vom Amtsgericht:
„In dem Rechtsstreit GEMA […] gegen Kulturkosmos Leipzig e. V. wegen Forderung Aktenzeichen 987654321 wird die Klage – ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage - zurückgenommen.“
In anderen Worten: GEMA gibt auf.
Ergänzung
Was bitter war: Die ganze Sache hat unglaublich viel Zeit verschlungen.
Was gut war, und was ich unbedingt empfehlen möchte: den Austausch mit Anderen. Zwar hatten wir keine juristische Beratung, haben unser Problem aber nicht nur innerhalb unseres Vorstands-Trios besprochen, sondern auch mit anderen Menschen, die professionell in den Bereichen Soziokultur und Soziale Arbeit tätig sind. Deren Unterstützung, Mut-Machen und Mit-Denken hat sehr zu unserem Erfolg beigetragen.