GEMA gibt wieder mal auf …

Ein Erfahrungsbericht von Angela Kobelt aus den Jahren 2019 bis 2022

Wir danken Angela für ihre freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung und hoffen, dass ihr Bericht auch für andere GEMA-Geschädigte hilfreich ist.

Wie alles anfing

Im Frühjahr 2019 fand sich eine bunte, gut gelaunte und sehr energiegeladene Truppe aus Menschen, Initiativen und Vereinen zusammen, um gemeinsam eine Kulturveranstaltung im Leipziger Osten auf die Beine zu stellen. Die Grundidee: ein selbstorganisiertes Kulturfestival, bei dem zwei Tage lang Workshops zu verschiedenen künstlerischen Themen angeboten werden und am Abend fröhlich gefeiert wird.

Unser Verein, der Kulturkosmos Leipzig e. V., war der hauptverantwortliche Projektträger. Für mich bedeutete diese Idee, dass einige Förderanträge, Behördenbriefe, Excel-Tabellen sowie ein Schwung Rechnungen und Quittungen über meinen Schreibtisch und durch meinen Computer gehen würden. Schließlich bin ich als „Vorstand Finanzen“ die Vereins-Spezialistin für alles, was irgendwie mit Verwaltung und Zahlen zusammenhängt.

Im September 2019 ging die Veranstaltung über die Bühne. Unser Festival namens Buntega! war ein schöner Erfolg. Mehrere hundert Leute waren gekommen; es wurden dutzende Sprachen gesprochen und Kultur aus der ganzen Welt gefeiert. Vorbereitung und Durchführung waren gut und geschmeidig gelaufen, und auch die Nachbereitung war schnell erledigt. Schon im November konnte ich den Abschlussbericht an sämtliche Fördergeldgeber schicken. Meine Arbeit war also getan – dachte ich. Doch der wirklich unangenehme Teil der Arbeit stand mir – wie ich bald erfahren durfte – noch bevor.

Sommer 2020

Ich bekomme einen Brief aus München. Er enthält eine Rechnung der GEMA. 900 Euro und ein paar Zerquetschte für unser Buntega-Fest. Fluchend zerreiße ich alles und weiß schon jetzt: das wird nicht die einzige Zahlungsaufforderung bleiben.

Sommer und Herbst 2020

Die Kanzlei schickt noch drei weitere Briefe. Ich antworte auf keinen.

November 2020

Post vom Amtsgericht Wedding / Zentrales Mahngericht Berlin-Brandenburg. Hmm. Es gibt bestimmt einen juristisch stabilen Grund, warum Leipzig nun zum Zuständigkeitsbereich von Berlin-Brandenburg gehört. Werde ich irgendwann mal googeln. Jetzt trage ich auf dem beigefügten Formular ein, dass ich im Auftrag des Vereins widerspreche und schicke den Brief – fristgemäß und per Einschreiben – in den Wedding.

Dezember 2020

Am 14.12.2020 bekomme ich erneut Post von der Kanzlei. Zu Beginn des Schreibens ist barsch von den angeblich aufgelaufenen Zinsen, Mahnkosten und Kosten für vorgerichtliche Tätigkeiten die Rede. Unser Verein sei nun also schon mit mehr als 1000 Euro in den Miesen. Dann geht der Text weiter mit, Zitat:

»Es ist nunmehr das gerichtliche Streitverfahren durchzuführen, weil Sie gegen den Mahnbescheid Widerspruch erhoben haben und kein relevanter Grund für Ihren Widerspruch ersichtlich ist. Bitte bedenken Sie: Die Kosten für das gerichtliche Streitverfahren und der evtl. folgenden Zwangsvollstreckung betragen in der Regel ein Vielfaches der bislang angefallenen Kosten und sind auch von Ihnen zu tragen! Sie können das gerichtliche Streitverfahren und die daraus resultierenden, weiteren Kosten vermeiden, indem Sie die genannte Forderung erfüllen und EUR 1006,24 bis 24.12.2020 (Geldeingang) auf unser unten genanntes Konto unter Angabe unseres Aktenzeichen überweisen. Bei fruchtlosem Fristablauf werden wir jedoch sofort das gerichtliche Streitverfahren einleiten!
Mit freundlichen Grüßen
XXX
Rechtsanwalt«

Gerichtliches Streitverfahren? Zwangsvollstreckung? Zahlung bis spätestens Heiligabend? Beim Lesen merke ich, wie mein Herz immer schneller schlägt. Spätestens jetzt ist der Moment gekommen, an dem ich gerne eine qualifizierte Einschätzung von einer Person mit abgeschlossenem Jurastudium und Expertise in Sachen GEMA hätte. Aber niemand aus unserem Verein kennt so jemanden. Und Geld ausgeben für eine anwaltliche Beratung möchten wir auch nicht. Schließlich sind wir ein gemeinnütziger Verein, der durch Projektmittel und Spenden existiert. Meine innere Finanzministerin ist sparsam; ich möchte, dass das Geld auf dem Vereinskonto für schöne Dinge ausgegeben wird und hoffe, dass das Recht auch ohne anwaltliche Hilfe auf unserer Seite ist.

Nachdem sich mein Puls wieder etwas entschleunigt hat, habe ich einen Gedanken im Kopf, der sich ungefähr so anhört „Wenn der Herr Rechtsanwalt wirklich überzeugt von der Forderung wäre, hätte er doch schon längst die Klageschrift formuliert. Stattdessen schickt er wieder einen Drohbrief. Obwohl das Mahnverfahren bereits eingeleitet wurde.“
Mein Optimismus wächst wieder. Vielleicht ist ja doch noch Platz für Sachargumente? Ich schreibe:

»Sehr geehrte Damen und Herren,
in Ihrem Brief vom 14.12.2020 teilen Sie uns mit, dass Sie ein „gerichtliches Streitverfahren“ gegen uns durchführen möchten.
Bevor Sie dieses einleiten, möchte ich Ihnen folgendes zu bedenken geben:
Beim Buntega! Festival […] wurde keine gema-pflichtige Musik gespielt.
Es traten auch keine KünstlerInnen auf, die einen Vertrag mit einer Verwertungsgesellschaft haben.
Buntega! ist ein Kulturfestival, kein Musikfestival.
Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund. Es gibt selbstorganisierte Workshops zu handwerklichen, künstlerischen und anderen Themen (westafrikanische Küche, nordamerikanische Weberei, Fotografie, kreatives Schreiben, Schmuckherstellung, kurdischer Volkstanz, Trommeln, Gitarre, HipHop-Lyrics uvm.). Ein Teil der Workshopergebnisse wird beim gemeinsamen Abschlussabend präsentiert.
Musik wird ausschließlich live performt.
Tonträger u. ä. kommen nicht zum Einsatz. Bei den gespielten Musikstücken handelt es sich um Variationen traditioneller Volksmusik sowie um eigene musikalische Arrangements, selbstgetextete Lyrics aus dem HipHop-Workshop, erste Kompositionsversuche sowie spielerische Improvisationen von Jugendlichen. […]«

Damit wäre doch alles gesagt  dachte ich.

März 2021

Ich erhalte eine Antwort auf mein Dezember-Schreiben. Erneut wird ein Klageverfahren angedroht. Hatte ich wirklich darauf gehofft, dass Argumente etwas bewirken würden?

1. April 2021

Ich schreibe meinen zweite (und letzten) Brief an die Kanzlei. Er besteht fast ausschließlich aus Inhalten meines letzten Schreibens, die ich stumpf mit copy and paste übertrage.

Sommer 2021

Keine Antwort.

Herbst 2021

Keine Antwort.

Winter 2021/22

Keine Antwort.

Anfang 2022

… ist immer noch keine Reaktion da. Das erste mal leuchtet ein blasser Hoffnungsschimmer auf: Sollten „die“ sich etwa doch von sachlichen Argumenten überzeugen lassen? Ist jetzt alles vorbei?

9. April 2022

Natürlich ist nichts vorbei. Genau ein Jahr nach meinem letzten Brief ziehe ich einen gelben Umschlag aus dem Kasten. Absender ist das Amtsgericht Leipzig. Inhalt ist die Klageschrift der Münchner Kanzlei: fünf Seiten Blabla und viele Verweise auf angeblich relevante Paragraphen und Urteile.

Wieder einmal frisst die GEMA ein paar Stunden meiner Lebenszeit. Ich schaue mir die genannten Texte und Urteile online an.

  • BGZH 95, 274 – GEMA-Vermutung 1
  • BGHZ 95; 285 – GEMA-Vermutung 2
  • NJW 1986; 1250 – GEMA-Vermutung 3

Wichtig scheint alles zu sein, was sich um die sogenannte GEMA-Vermutung dreht. Es geht da anscheinend immer um Filme, entdecke ich. Und zwar um solche, hinter deren Produktion und Distribution ein kommerzielles Interesse steht. Fast immer sind es Sexfilme. In einem der Urteile lese ich: „Der Beklagte betreibt einen Nachtclub, in dem er pornographische Tonfilme vorführt.“
Hmmm. Was hat das mit uns zu tun? Ich gebe mir alle Mühe, kann aber wirklich keine strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen diesen Filmen und unserem Festival erkennen. Bei Buntega! gab es keine Musik von Anderen und kein gewerbliches Interesse; der Eintritt war sogar kostenlos.
Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich schon in meinem ersten Widerspruch darauf hingewiesen hätte, dass unser Festival gratis besucht werden konnte?

Im gelben Umschlag steckt außerdem eine Verfügung vom Amtsgericht, in dem mitgeteilt wird, dass ein schriftliches Vorverfahren durchgeführt wird („Schriftliches Vorverfahren?“ – denke ich – „Meine Güte, was ist das denn nun wieder?“). Außerdem wird unser Verein darauf hingewiesen, dass er seine „Absicht auf Verteidigung binnen einer Notfirst von zwei Wochen ab Zustellung der Anspruchsbegründung schriftlich (keine Email) anzuzeigen“ habe. „Die Frist kann nicht verlängert werden und ist nur dann gewahrt, wenn die Anzeige innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Geht sie nicht innerhalb der Frist ein, so kann das Gericht unter Umständen ohne mündliche Verhandlung durch Versäumnisurteil gegen die beklagte Partei entscheiden.
Ein paar Zeilen weiter dann wieder, dieses Mal sogar fett gedruckt: „Der Prozess kann also allein wegen einer Fristversäumnis verloren werden.

Hey, Rechtsstaat! Was soll das? Da haben wir zwölf Monate nichts von Dir gehört und plötzlich machst Du so einen Druck? Auf wessen Seite stehst Du eigentlich? Ein paar Tage später tippe ich die nötigen Zeilen und stehe dann wieder einmal in der Schlange vor der Postfiliale, um ein Einschreiben abzugeben. Irgendwie hatte ich mir die Vereinstätigkeit anders vorgestellt.

Mai 2022

Am 18.05.2022 wieder Post vom Amtsgericht. Mit einem Termin zur Güteverhandlung. Die soll in fünf Monaten stattfinden.
Im Umschlag liegt außerdem ein Schreiben, in dem die Kanzlei auf die Sätze Bezug nimmt, mit der ich der Klage widersprochen hatte. Wieder mal ist ausführlich von der „Gema-Vermutung“ die Rede. Wenn ich alles richtig verstanden habe, lässt sich diese so zusammenfassen:
Die GEMA behauptet, dass eine Veranstaltung, bei der Musik zu hören ist, grundsätzlich gema-pflichtig sei. Wenn der Veranstalter das anders sieht, muss er diese Vermutung widerlegen, indem er beweist, dass die genutzte Musik gemafrei ist. Die Aussage: „Die Musik ist gemafrei!“ reicht der GEMA nicht.

Das sind keine einfachen Rahmenbedingungen für einen gemeinnützigen Verein, der jungen Leuten einen Raum für freies Musizieren, Drauf-Los-Trommeln und Rum-Schrammeln geben und außerdem geflüchteten Musikerinnen und Musikern eine Bühne bieten möchte. Im Schreiben heißt es außerdem noch:

Der Beklagte ist nach vorgenannter ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof verpflichtet, eine Liste mit Beweisantritt vorzulegen, in der detailliert für jede einzelne Veranstaltung aufgeführt wird,

  1. welche Musikstücke / Titel,
  2. welcher Komponisten / Textdichter / Bearbeiter,
  3. aus welchem Verlag genutzt, wurden, damit die Klägerin dieses dann prüfen kann.

Die Kanzlei behauptet also, dass die Abgabe einer solchen Titelliste laut Bundes­gerichtshof verpflichtend sei. Ist das wirklich so? Oder nur ein aufgeblasenes Schein-Argument der Gegenseite? – Ich habe keine Ahnung.

Und was ist eigentlich eine „Güteverhandlung“? Das immerhin verrät mir das Internet und ganz besonders der Artikel von Andreas Götz auf volXmusik.de. Der Text ist enorm hilfreich und bestärkt mich in meiner Haltung, kein Geld für juristischen Beistand auszugeben.

Oktober 2022

Im Oktober 2022, also mehr als drei Jahre nach der Veranstaltung, gehe ich zusammen mit einem Vorstandskollegen ins Amtsgericht und zur Güteverhandlung. Mit dabei haben wir einen gut sortierten Ringordner, der nicht nur den gesammelten Schriftverkehr, sondern auch eine dreifach kopierte Set-List enthält. Also alle Namen von Menschen, die bei Buntega! in irgendeiner Form Musik gemacht haben, sowie die Titel der gespielten Musikstücke. Vor einigen Wochen hatte mein Kollege damit begonnen, die Mitwirkenden von damals nach ihren Liedern und Kompositionen zu fragen. Auf der Liste stehen nun Titel wie: Yankadi, Es tu voz, komisch, Smoothie, Omas Rumba und Fette Butterbemme. Das wird Justitia bestimmt gefallen.
Als der Moment kommt, in dem der GEMA-Anwalt die Sprache darauf bringt, dass es (angeblich) Pflicht des Veranstalters sei, eine solche Liste zu führen, reagiere ich mit einem freundlichen: „Wir haben die Titelliste dabei.“
Der Richter ist nicht amüsiert. Wir hätten die Liste doch schon, tadelt er uns, vor geraumer Zeit einreichen sollen. Meine Begründung, erst kürzlich davon erfahren zu haben, dass eine solche Übersicht möglicherweise nötig sein könnte, nimmt er mit steinernen Gesichtszügen zu Kenntnis. Dann fordert er mich auf, die Kopien an ihn und an den Anwalt der Gegenseite zu übergeben.

Kurz zuvor hatte mein Kollege noch den Hinweis zu Protokoll geben können, dass der Eintritt frei war. Und außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass es schon früh einen ersten Widerspruch unsererseits gegeben hat. Dieses Mal ging der strenge Richterblick an den Anwalt der Gegenseite: „Warum habe ich davon nichts in den Akten?“. Die Frage blieb unbeantwortet. Schließlich wird der Termin beendet. Der Rechtsanwalt der Gegenseite behauptet, dass er die Klage aufrechterhalten wird. Wir kramen alle unsere Kalender hervor und verabreden uns für den 1. Februar 2023 zum „eigentlichen“ Prozesstermin.

November 2022

Am 2. November 2022 bekomme ich Post vom Amtsgericht: Wir erhalten das Protokoll.

Dezember 2022

Am 20.12.2022 dann erneut Post vom Amtsgericht:
In dem Rechtsstreit GEMA […] gegen Kulturkosmos Leipzig e. V. wegen Forderung Aktenzeichen 987654321 wird die Klage – ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage - zurückgenommen.

In anderen Worten: GEMA gibt auf.


Ergänzung

Was bitter war: Die ganze Sache hat unglaublich viel Zeit verschlungen.

Was gut war, und was ich unbedingt empfehlen möchte: den Austausch mit Anderen. Zwar hatten wir keine juristische Beratung, haben unser Problem aber nicht nur innerhalb unseres Vorstands-Trios besprochen, sondern auch mit anderen Menschen, die professionell in den Bereichen Soziokultur und Soziale Arbeit tätig sind. Deren Unterstützung, Mut-Machen und Mit-Denken hat sehr zu unserem Erfolg beigetragen.