Thema: Einen Scheiß muss ich!

24.06.2017 14:26
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Kritische Betrachtung der aktuellen Gestaltung von diversen Volkstanz-Veranstaltungen aus der Sicht eines Tanzmusikanten

Liebe Musikantenkollegen,

wenn ich als seit über 40 Jahren aktiver Volkstänzer und Tanzmusikant zu Volkstänzen komme, wo ein vorproduziertes Figurentanz-Programm für die Veranstaltung geplant ist, kann meine Laune keine schlechtere mehr sein. Da liegen immer öfter bei öffentlich als Volkstanz angekündigten Veranstaltungen Tanzprogramme mit lauter Runden aus fast ausschließlich Figurentänzen aller Schwierigkeitsgrade auf. Garniert sind solche Abende, bestehend aus 12 bis 14 Runden, dann mit ein bis zwei Walzern, Boarischen und Zwiefachen. Das geht zu weit!

Das grenzt an Wirbelsäulengymnastik und Selbstdarstellungsgehabe im Gleichschritt, angeleitet von selbsternannten Vorturnern, die sich als Tanzmeister ausgeben. Diese formulieren mittlerweile auch Sätze wie: „Ihr Musikanten seid hier als Dienstleister, die für’s Aufspielen bezahlt werden.“ Also könne es den Musikanten doch egal sein, welche Tänze sie zu spielen hätten. Einige junge Musikanten entwickeln ihre eigene Strategie: auf Nachfrage, ob sie auch Volkstänze spielen, kommt dann als Antwort, die würden sie lieber erst gar nicht lernen, dann könnten sie ihnen von diesen Dressur-Figurentänzern auch nicht abverlangt werden. Damit kommt es zur Trennung von Volkstanz und dem figurentanzfreien „Bayerischen Tanz“, eine irrtümlich so benannte Tanzveranstaltung, speziell in Oberbayern. Kürzlich berichtete mir eine Tanzlmusi-Kollegin von einem Veranstalter, der es darauf anlegte, den Musikanten auch noch die Zugaben vorzuschreiben. „Der Musikant hat ja seine Freude am Spielen, da ist es doch egal, welche Stücke er spielt.“

Aber das ist ein Riesen-Blödsinn! Die Musikanten, sofern sie Interesse und Erfahrung mit dem Tanzboden-Geschehen haben, sind die Tonangeber der Veranstaltung. Von ihrer Spiellaune und ihren Ideen beim Beobachten der Tänzer hängt es ab, welche Atmosphäre im Raum entsteht. Ein Tanz ist ja kein Trauerspiel und keine perfekte Vorführung, sondern er lebt von Fröhlichkeit und ausgelassener Stimmung. Dies erkenne ich nicht bei einem Tanzpublikum, das in kapriziösen Bewegungen wenig mit dem Gehör bei der Musik ist, weil die Bewegungen bei den komplizierten Tanzformen ihre ganze Konzentration einfordern. Zu bemerken ist das für mich als Musikant an dem äußerst mageren Beifall von solchen Zeitgenossen (Applaus = 3 bis 5 mal müdes Klatschen). Die Bezahlung, die ein Musikant von solchen Auftraggebern erhält, ist in der Regel nicht mal die entsprechende Aufwandsentschädigung für einen 4 bis 5-stündigen Einsatz, oft mit langer Fahrtzeit und hohen Fahrtkosten.

Was ich persönlich an Volkstänzen schätze, ist eine lockere Form von Gemeinschaft, die Freude an der Musik und an ihren Mitmenschen hat. Schon ziemlich lange dürfte der Tanzboden eine Form von persönlicher Freiheit ermöglicht haben, zumindest nach der Beendigung des höfischen Tanzzeitalters. Immer ein Spiel von Nähe und Distanz, von Griaßdi und Pfiadi, wo Verunsicherung, wie „da kann ich nicht mittanzen, weil ich den Bewegungsablauf oder die Reihenfolge der Tanzfiguren nicht kenne“ nichts verloren hat. Nicht umsonst haben sich in den letzten Jahren wohl auf Grund der vorher beschriebenen Missstände sogenannte Familien- und Privatvolkstänze entwickelt. Hier trifft sich Jung und Alt, vom Enkel bis zu den älteren Verwandtschaftsteilen, um gleichgesinnt eine unterhaltsame Zeit zusammen zu verbringen; ohne Perfektion und vorgeschriebene Bewegungsmuster. Variation, Tempo und Ausdauer hängen allein von jedem Einzelnen ab. Solche Anlässe erlauben in der Mehrheit Rundtänze, wie Walzer, Polkas und Zwiefache mit steten Drehbewegungen, dazwischen zur Abwechslung ausdauerschonende Figurentänze, ergänzt von Gruppen- und Wechseltänzen.

Gute Musikkapellen sorgen für einen Spannungsverlauf, der sich bis zum Schluss immer mehr steigert und das Publikum begeistert entlässt. Was hätte wohl mein seliger Vater Hans oder gar der gestrenge Kauffmann Schorsch mit dieser gegensätzlichen Entwicklung angefangen?

Meine Meinung: Libertas für den Volkstanz

02.07.2017 13:56
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Lieber Musikantenkollege,

beim Thema Volkstanz gibt es natürlich (ebenso wie bei Musik, Malerei, Essen,Trinken u.v.m.) die verschiedensten Ansichten und Geschmäcker. Da geht es weder um gut oder schlecht noch um richtig oder falsch. Wenn mir eine Veranstaltung nicht zusagt, dann rege ich mich nicht auf, sondern gehe einfach nicht mehr hin. Und wenn die gebotene Gage meiner Ansicht nach zu wenig ist, dann rege ich mich auch nicht auf, sondern nehme das Angebot einfach nicht an. Niemand zwingt mich zum Spielen. Und wenn ich mich über Tanzstile, die mir nicht gefallen, negativ oder gar herablassend äussere, dann zeige ich doch der Öffentlichkeit, dass ich die Toleranz nicht gerade erfunden habe. Und wo ist genau definiert, was "richtig", "falsch", "echt" oder "unecht" ist?

Zu deiner Beruhigung: Alles wird sich irgendwann nach der Angebot-und-Nachfrage-Regel richten. Wenn etwas nicht gut ankommt, sinkt die Besucherzahl, und umgekehrt. Folglich werden sich die Veranstalter zwangsläufig nach der Nachfrage richten müssen.

Mit musikalischen Grüßen

Franz

10.07.2017 14:42
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Lissi_Hirschbold am 9. Juli 2017:

Hallo Josef! Über deinen Beitrag "Volkstanz aus der Sicht eines Musikanten" habe ich mich sehr gefreut! Ich glaube das war längst überfällig. Hoffentlich regt er doch einige Veranstalter dazu an, die Tanzfolgen auf öffentlichen Tanzabenden zu überdenken damit es wieder allen Spaß machen kann. Lissi

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